Gedanken von Corsin Baumann (Pfarrer) und Stefano Terzi (Architekt) zum Orientierungspapier Prozess Zukunft Mission – The Five Marks of Mission

 

Eine Spurgruppe von zehn Leitungspersönlichkeiten aus dem Umfeld der Evangelischen Allianz hat sich in den letzten drei Jahren Gedanken gemacht über ein gemeinsames Verständnis von christlicher Mission. Dabei ist ein Papier mit dem Titel «Prozess Zukunft Mission» erarbeitet und im Herbst 2024 veröffentlicht worden. Darin werden Verantwortungstragende in Kirche und Gesellschaft, in denen der Text eine Resonanz auslöst, zur Partizipation eingeladen.

 

Die AKU, eine Arbeitsgemeinschaft der Schweizerischen Evangelischen Allianz, die das Klima, die Energie und die Umwelt auf dem Radar hat, ist von diesem Orientierungspapier stark angesprochen, insbesondere davon, dass das Anliegen der Bewahrung der Schöpfung als eines von fünf Kennzeichen des christlichen Auftrags – The Five Marks of Mission – gesehen wird.

 

«Blühende Ökosysteme des Evangeliums»

Der Begriff des Ökosystems des Evangeliums wird im Papier als strategisches Ziel formuliert. Uns spricht auch dieser Begriff an. Wir meinen allerdings, dass im Papier zu wenig deutlich wird, wie offen oder geschlossen dieser verstanden werden soll. Ist es eine Voraussetzung, dass sich eine Organisation oder Gemeinschaft an Jesus Christus und seinem Auftrag orientiert, damit eine Vernetzung überhaupt in Frage kommt? Wenn ja, schliesst diese Formulierung auch die katholische Kirche und die im ökumenischen Rat der Kirchen zusammengeschlossenen Kirchen ein? Und: Soll auch die Zusammenarbeit mit säkularen Institutionen gefördert werden, wenn diese mit einem oder mehreren Kennzeichen (marks) der ganzheitlichen Mission übereinstimmen?

 

Wir plädieren für möglichst grosse Offenheit, denn nach unserem Verständnis geht es beim Auftrag Jesu nicht nur um Verkündigung und Evangelisation im engeren Sinn, sondern auch um die Gestaltung dieser Welt im Sinne Jesu bzw. der «Wirkungslogik» des Reiches Gottes – und des Schöpfungsauftrags.

 

Theologie der Beziehung

Im Papier wird auch festgestellt, dass «Gottes Wirkungslogik» «relational statt nur kausal» ist. Es geht dabei um eine Beziehung. In diesem Sinn sehen wir die fünf «Marks» wie die Blütenblätter einer fünfteiligen Blume, zum Beispiel einer Christrose. Im Zentrum sehen wir Gott. Die fünf Merkmale entsprechen fünf Formen der Beziehung:

 

  • Gott begegnet uns durch das Wort und das Evangelium – unsere Antwort ist die Verkündigung.
  • Gott begegnet uns durch den heiligen Geist – er macht uns fähig, auch andere zu befähigen.
  • Gott begegnet uns in unseren Mitmenschen, vor allem denjenigen, die unserer Hilfe bedürfen – unsere Antwort ist die Barmherzigkeit.
  • Gott begegnet uns in seinen Verheissungen – deshalb setzen wir uns ein für eine «Transformation der Gesellschaft».
  • Gott begegnet uns in der Schöpfung – deshalb können wir es nicht zulassen, dass die Natur und das Leben um des Fortschritts willen aufs Spiel gesetzt werden.

 

Herren der Schöpfung?

Zur Begründung des Merkmals «Bewahrung der Schöpfung» wird im Papier auf die zwei Bibelstellen Genesis 1,29 und Genesis 2,15 verwiesen. Die Auslegung dieser Stellen ist unter den Bibelwissenschaftlern aber umstritten und sie wurden im Lauf der Kirchengeschichte immer wieder unterschiedlich interpretiert.

 

Eindeutiger erscheint uns daher der Verweis darauf, dass im Alten und im Neuen Testament immer wieder festgestellt wird, dass Wohlstand, Besitz und Reichtum mit der Übernahme von Verantwortung verbunden sind. Deshalb sollen auch (Haus-)Tiere mit Rücksicht behandelt werden (vgl. u.a. Sprüche 12,10).

 

Heute sind aber auch wildlebende Tiere, die entsprechenden Ökosysteme und das Leben überhaupt sozusagen «im Besitz» der Menschen, denn ihr Überleben hängt von ihnen, Politik und Wirtschaft ab. Von daher scheint es uns plausibel, dass die Welt heute verantwortlich genutzt werden soll, weil sie weitgehend von unserem Handeln als Menschheit abhängt.